
Angela Richter hat sich vielfach in ihrer Arbeit als Regisseurin / Journalistin / Aktivistin mit Julian Assange auseinandergesetzt, daher die ideale Gesprächspartnerin zum Fall, für den es ohrenbetäubende Empörung, nicht Stille braucht. Wir haben sie gefragt, ob man den Fall Assange mit dem von Nawalny vergleichen kann. Wer die Privatperson Julian Assange ist. Und unter welchen Bedingungen der Prozess gegen den WikiLeaks Gründer stattfand.
Kannst du dich noch erinnern, wann du erstmalig von WikiLeaks gehört hast?
Ich habe mich 2009 eine zeitlang mit Scientology beschäftigt und überlegt ein Stück darüber zu machen. Und so bin ich während der Recherche zufällig auf die WikiLeaks Website gestoßen, weil die schon ab 2008 interne Dokumente von Scientology geleakt haben. Die Seite war faszinierend, weil da alle möglichen Leaks zu finden waren. Ich habe mich dann stundenlang durch Geheim-Dokumente gewühlt. Man wusste ja noch nicht, wer dahintersteckt, ich dachte damals, dass es wohl eine kleine Gruppe von Cypher-Anarchos sein würde. Erst 2010 ist Julian Assange mit einigen Mitarbeitern an die Öffentlichkeit gegangen. Als die großen Chelsea Manning Leaks veröffentlicht wurden, in Zusammenarbeit mit den größten Zeitungen der Welt, Spiegel, New York Times, Le Monde etc. Darunter auch das berühmte „Collateral Murder“ Video (hier zu sehen).
In dem besagten Video wurden insgesamt drei Angriffe durch zwei Kampfhubschrauber der US-Army gezeigt, in denen teils bewaffnete, teils unbewaffnete Menschen, darunter zwei für Reuters arbeitende Kriegsberichterstatter, im Osten Bagdads auf brutalste Art-und Weise erschossen werden. Besonders verstörend, neben den Bildern, die Kommentare der Schützen, die an Ego-Shooter-Game, nicht an Real-Life denken lassen. Weiß man eigentlich, ob die Schützen für ihre Kriegsverbrechen bestraft wurden?
Soweit ich darüber informiert bin und dass ist auch während des Assange Prozesses thematisiert worden, wurde keiner der Täter je belangt. Man kann also festhalten: Schwere Kriegsverbrechen werden nicht bestraft, aber der Enthüller derselben wird drakonisch verfolgt und systematisch zerstört. Der Fall Assange ist ein Armutszeugnis für die westliche Welt und ihren Umgang mit Menschenrechten!
Große Medien haben erheblich von den WikiLeaks Informationen („Iraq War Logs“, „Collateral Murder“, „Afghan War Diary“ etc.) profitiert. Wie empfindest du deren heutige Berichterstattung zum Fall Julian Assange?
Der Fall Assange ist nicht nur eine juristische Farce, sondern auch ein eklatantes Medienversagen. Ein Paradebeispiel der Manipulation der öffentlichen Meinung. Statt dass die Kriegsverbrechen, die er enthüllt hat, untersucht werden, steht Julians Charakter jahrelang im Mittelpunkt der Debatte. Alle haben eine Meinung dazu: ein Vergewaltiger, ein Hacker, Arschloch und Narzisst. Dabei haben die meisten Journalisten, die uns diese Narrative jahrelang aufgetischt haben, ihn nie selbst getroffen. Aber so hat man es geschafft, dass die Erinnerung an die Kriegsverbrechen langsam verblasst ist. Und das ist kein Zufall, sondern genauso gewollt. Wie man inzwischen weiß, haben die USA ihre Alliierten nach den großen Leaks dazu aufgefordert, Assange mit Strafverfahren zu überziehen. Stratfor, ein für die US-Regierung arbeitender privater Geheimdienst, riet genau das der amerikanischen Regierung: Julians Ruf zu ruinieren und ihn in den nächsten Jahrzehnten mit allen möglichen Strafverfahren zu verfolgen und diese immer in der Schwebe zu lassen. Es gibt sogar einen Stratfor Leak, der von Wikileaks selbst veröffentlicht wurde, der dies belegt (hier zu sehen) . Es ist eine traurige Tatsache, dass die meisten Journalisten über das Stöckchen gesprungen sind, das Ihnen die CIA hingehalten hat. Brav haben Sie die Narrative der Macht übernommen, ohne auch nur einmal ordentlich zu recherchieren, in Schweden zum Beispiel. Auch die, die extrem von ihm profitiert haben, sobald der Boden heiß wurde, haben sie sich gegen ihn gestellt. Und da er anfangs immer sehr offen war im Umgang, ist er ins offene Messer gelaufen. Ich habe ihn einmal gefragt, warum er so naiv war, den Kollegen zu trauen, und da sagte er mir: „I thought they were men of honour.“ Da war ich erst mal sprachlos und fragte mich, ob ich nicht selbst schon völlig zynisch bin, denn ich lege solche Maßstäbe schon gar nicht mehr an. Es gab nur wenige Ausnahmen von Journalisten, die ihn immer unterstützt haben, wie Stefania Maurizi, John Goetz oder Michael Sontheimer, die aber in der Masse untergegangen sind. Dieses Versagen schlägt jetzt aber zurück: Falls Assange ausgeliefert und verurteilt wird, ist das die größte Bedrohung für die Pressefreiheit, die es in der westlichen Welt bisher gegeben hat. Die Presse hat sich also selbst damit ins Bein geschossen. Denn wenn investigativer Journalismus einmal als Spionage eingestuft wird und überall auf der Welt verfolgt werden kann, ist das der erste Schritt in eine Diktatur. Und man darf nicht vergessen: Wenn die Presse ihren Job als Vierte Macht wirklich machen würde, bräuchte man kein WikiLeaks.
Du hast es bereits erwähnt: In den letzten Jahren hast sich das Gros der Medien vor allem darauf konzentriert das öffentliche Bild von Assange zu zerstören. Du hast ihn mehrfach in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht. Wer ist Julian Assange?
Meine eigene Erfahrung mit Julian hat nichts mit dem öffentlichen Bild gemeinsam. Ich habe ihn als extrem intelligenten und interessanten Charakter erlebt. Er ist nicht niemand, mit dem man gut Smalltalk führen kann, dass interessiert ihn nicht. Aber wenn man ihn näher kennenlernt, öffnet er sich irgendwann und ist dann ein sehr humorvoller, warmer und abenteuerlustiger Mensch. Ich habe mich wirklich gut mit ihm verstanden. Andere vielleicht nicht, aber ist das nicht normal? Er ist kein Durchschnittscharakter und verstellt sich nicht und damit können viele Leute nicht umgehen. Vielleicht haben wir uns alle zu sehr daran gewöhnt uns gegenseitig was vorzumachen. Wir leben in fiktiven Zeiten. Ehrlichkeit macht viele Leute extrem aggressiv. Fast jeder Künstler oder Theatermensch, den ich kenne, ist im Vergleich mit Julian ein opportunistisches Arschloch. Aber da gehört das wahrscheinlich zum Anforderungsprofil. Julian ist mir immer auf Augenhöhe begegnet, was ja für Frauen keineswegs selbstverständlich ist. Ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der mich derart ermutigt hat Dinge zu tun, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie kann. Ohne ihn und seine Unterstützung hätte ich mich nie getraut, Artikel zu schreiben. Oder meine eigenen Stücke. Ich habe viele tolle Sachen mit ihm erlebt und es ist für mich herzzerreißend gewesen, fast zehn Jahre lang dabei zuzuschauen, wie er langsam zerstört wird. Er selbst nannte das schon ganz früh “character assassination“, was mich auch zu dem Titel für mein erstes Stück inspiriert hat.
Sollte es, was die Beurteilung des Fall Assange angeht, überhaupt eine Rolle spielen, ob er ein sympathischer Kerl oder narzisstisches Arschloch ist?
Genau darum geht es! Das hier ist kein Beliebtheitswettbewerb. Er ist ein Mensch und ihm stehen grundlegende Menschenrechte zu. Klar, er macht auch Fehler, wie jeder andere auch. Er ist nicht perfekt, aber das muss er auch nicht sein. Ihm steht ein faires Verfahren zu und genau das ist ihm bisher immer verwehrt worden, von Schweden, England, USA und zuletzt auch Ecuador. Und das auch noch mit der Unterstützung der freien Presse.
Kürzlich hat Sahra Wagenknecht von DIE LINKE den Fall Alexei Nawalny mit dem von Julian Assange auf Facebook verglichen. Ist ein Vergleich der beiden Fälle legitim? Und falls ja, welche sind die Gründe, die dazu führen, dass Julian Assange vergleichsweise wenig Unterstützung von der deutschen Politik erfährt?
Ich denke schon, dass ein Vergleich legitim ist, warum auch nicht? Ich finde, dass Sahra Wagenknecht recht hat mit ihrem Statement, das Verhalten bzw. die Ignoranz der Bundesregierung und aller Parteien ist beschämend und heuchlerisch. Die einzige deutsche Partei, die sich für ihn einsetzt, ist tatsächlich Die Linke. Ich habe beim Prozess auch immer Heike Hänsel und Sevim Dagdelen getroffen, die ihn seit Jahren unermüdlich unterstützen. Dass unsere Regierung dazu schweigt, unterstreicht umso mehr den politischen Charakter seines Falles. Die zweierlei Maßstäbe, die bei Ost- und West Dissidenten angelegt werden, sind entlarvend. Das gilt auch für Edward Snowden, den ich auch dreimal besucht habe und der sich am Anfang sehr gewünscht hat, nach Deutschland zu kommen. Es ist unfassbar, dass kein Land in Europa sich getraut hat, ihm Asyl anzubieten. Putin hat inzwischen sogar viele Dissidenten begnadigt, darunter Pussy Riot und Michail Chodorkowsky. Und er hat Snowden Asyl gewährt. Das ist eine Schande für Europa und die freie westliche Welt.
Man geht davon aus, dass das Urteil im Fall Julian Assange Anfang Januar fällt. Du warst in London, um über den Prozess zu berichten. Wie war dein Eindruck?
Das Ganze mutete wie eine kafkaeske Farce an, die ich am besten mit „Schauprozess” beschreiben würde. Was als Erstes aufgefallen ist, dass man versucht hat, den Prozess möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Das war schon in der ersten Runde im Februar offensichtlich, es gab nur 24 Plätze für Journalisten und 16 für die Öffentlichkeit, deshalb bin ich bereits im Morgengrauen gekommen. Später kamen 100-200 Journalisten und es gab Gedränge. Ich hatte das Glück, einen der Plätze im Gerichtssaal zu ergattern, viele Journalisten mussten in den sogenannten „Press Annex“, einen heruntergekommenen Container, in dem von sechs Monitoren nur vier funktionieren. Der Ton soll so schlecht gewesen sein, dass man der Anhörung kaum folgen konnte. Assange saß in einem Panzerglaskäfig und konnte dem Prozess ebenfalls kaum folgen. Es wurde ihm verwehrt, sich mit seinen Anwälten zu beraten, als sein Verteidiger darum bat, ihn aus dem Käfig zu lassen, da er „ein sanfter Mann von intellektueller Natur” sei und es “keinen Grund gäbe, warum er nicht während der Anhörung bei uns sitzen und mit uns kommunizieren sollte“ – da hatte selbst der US-Ankläger nichts dagegen, trotzdem wies die Richterin den Antrag ab. Das Verfahren fand damals im düsteren Belmarsh Magistrates Court in Woolwich statt, sein grimmiger Bau liegt weit außerhalb des Londoner Zentrums, wie für Terroristen maßgeschneidert. Wer hier landet, soll schnell werden, möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die zweite Runde fand (nach langer Corona-Pause) im September statt und diesmal schaffte ich es nicht in den Saal, denn die Corona-Pandemie hat der Richterin Vanessa Baraitser einen willkommenen Grund geliefert, die knappen Pressesitze noch weiter zu reduzieren. Im Gerichtssaal wurden fünf Journalisten zugelassen, weitere 15 haben eine Akkreditierung für einen Videolink bekommen. Immerhin gehörte ich dazu und verfolgte den Prozess von meinem Hotelzimmer aus. Warum die virtuellen Plätze auf 15 beschränkt waren, ist unbekannt, es könnten ja unendlich viele sein. Für große Empörung sorgte die Richterin auch mit ihrer Entscheidung kurz vor Beginn der ersten Anhörung, 40 Video-Akkreditierungen für Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International und Reporter ohne Grenzen, einfach zu entziehen. Sie begründete diesen Affront damit, dass sie „nicht kontrollieren könne, wie die Leute sich verhalten“, die zu Hause auf dem Laptop zuschauen. Ich hatte mich gefragt, was sie wohl befürchtet? Das die Menschenrechtler in Jogginghose und Bier davor sitzen? Ich denke, es war nur ein weiteres Mittel, um den Prozess möglichst unbeobachtet abzuhalten zu können. Worum ging es im Groben? Weil man aus Großbritannien nicht aus politischen Gründen ausgeliefert werden darf, versucht die US-Anklage zu beweisen, dass der Fall Assange kein politischer, sondern ein Kriminalfall ist. Medien wie der Guardian, der Spiegel oder die New York Times wären nicht von den Anklagen gegen ihn betroffen. Er sei nicht wegen der Aufdeckung von Kriegsverbrechen angeklagt, sondern wegen der Veröffentlichung von Informanten und Beihilfe bei Chelsea Mannings Versuch, Regierungscomputer zu hacken. Assange sei ein gewöhnlicher Krimineller, kein Journalist. Alles in allem hat die Verteidigung mithilfe von Zeugen erfolgreich die sowieso schwache Argumentation der Anklage widerlegt, allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass es der Richterin auf juristische Argumente ankommt, der Fall ist eindeutig politischer Natur. Und Julian? Er sah sowohl live als auch auf Video blass und mitgenommen aus, aber er hob jedes Mal, wenn er hereinkam, kämpferisch die linke Faust zur Zuschauertribüne, als sich einmal unsere Blicke trafen, erwiderte ich seine Geste. Ansonsten schreibe ich ihm hin und wieder, ich habe von ihm einen Code bekommen für „Prison Email“, ich muss gestehen, dass es mir jedes Mal schwerfällt, denn die E-Mails werden gelesen und er kann mir nicht antworten, den gewöhnlichen Gefangenen ist das in der Regel erlaubt, aber auch hier ist Julian eine Ausnahme. Wenn ich ihm schreibe, ist es ein bisschen, als würde in die leere Dunkelheit reinrufen.
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Tags: Angela Richter, Free Assange
Von: David Kurt Karl Roth