
Vor wenigen Wochen endete die Phase der Abstinenz im Dandy Diary Team. 3 Monate kein Alkohol. Wie es dazu kam? Genereller Überdruss, kurz nach der Berlin Fashion Week – einer Zeit, in der Event auf Event, somit Free Drink auf Free Drink folgte.
Im Gegensatz zu Jakob, der sich die knallharte Nüchternheit verordnete, wollte ich experimentieren: Alle Rauschmittel sind erlaubt, außer Alkohol, so die selbst auferlegte Regel, die – das muss ich zugeben – jetzt wo ich meine Zeilen hier für die Ewigkeit verfasse – nicht allzu konsequent anmutet.
Ich begann zu recherchieren. Einer meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen, mit denen ich ganze Tage und Nächte verbringen kann. Ziel war es vergleichsweise leichte Substanzen zu finden, auf denen ich als „Herr meiner Sinne“ durch das Nachtleben reiten wollte. Fest im Sattel, ohne schmerzenden Kopf und die quälenden Fragen am nächsten Morgen: Bei wem muss ich mich entschuldigen? Wie bin ich nach Hause gekommen? Oder – noch viel schlimmer – wo bin ich denn überhaupt?
Einer der ersten Stoffe, auf die ich aufmerksam wurde: KRATOM. Ein Rauschmittel, das, so las ich, für Euphorie, Aktivität und verringertes Angstgefühl sorgen sollte. Hauptinhaltsstoff ist das psychoaktive Mitragynin. In der traditionellen Medizin benutzen Thais Kratom, um Durchfall zu behandeln, außerdem gibt es Quellen, die behaupten, dass die Einnahme die Lust bei Mann und Frau steigern soll – all das überzeugte mich. Daher bestellte ich diverse Kratom-Sorten auf KRATOM.eu – einem Webshop, dem ich mein Vertrauen schenkte.
Zu Recht, wie sich wenige Tage später zeigte, das Kratom kam überpünktlich per Post aus den Niederlanden. Ein grünes, nach Matcha-Tee duftendes Pulver, ich nahm 3 Gramm, vermischt mit Grapefruit-Saft, der – so las ich in den Foren der virtuellen Kratom-Szene – die Wirkung verstärken sollte, die Szene sprach vom „Booster“.
Rund 30 Minuten nach dem Konsum spürte ich das Kratom. Ich kam mir leicht „druff“ vor, der Spiegelblick bestätigte: meine Pupillen mindestens halb so groß wie die Brustwarzenteller von Ramona Drews. Es folgte tatsächlich eine euphorische Stimmung, Rededrang – doch alles sehr subtil, angenehm.
Doch zu soft, zu wenig Rausch, zu viel Nüchternheit, um dauerhaft, in einer von links nach rechts wankenden, grölenden, saufenden Gesellschaft langfristig ohne Schaden zu überleben.
Ich nahm Kratom ein paar Mal, probierte diverse Sorten und Booster (Magnesium, Kurkuma) aus, doch die Wirkung blieb subtil. Während meiner intensiven Recherche zu Kratom kam ich auf „Carpo Orr“ – einen YouTuber, der mit sanfter Stimme in seinen Videos über seine Liebe zu Kratom berichtet. Er trägt gepflegten Vollbart und einen fantasievoll gestalteten, offensichtlich selbst entworfenen Arztkittel, in dem er äußerst vertrauenswürdig wirkt. Ein guter, ruhiger Typ – so sieht man also aus – nach 7 Jahren Kratom.
Es war Zeit für eine neue Substanz: Kanna. Eine krautige Pflanze aus dem südlichen Afrika, auch hier, so ergaben die lehrreichen Stunden vor dem Mac, ein ähnliches Wirk-Spektrum wie bei Kratom: „Stimmung verbessern, Verminderung von Angstgefühlen und Stress. Moderat dosiert leitet es Euphorie ein und hat eine stimulierende Wirkung, die bei höherer Dosierung beruhigend wird.“ Man kann Kanna als Pulver schnupfen, als Tee trinken oder als hochdosiertes Extrakt rauchen. Ich entschied mich für die dritte Variante.
Ort des Konsums: die „Dirty Denim Party“ von Influencerin Stefanie Giesinger. Ich zog 3-4 mal fest an der E-Zigarette und wünschte mir ein wenig Rausch, um all das hier irgendwie zu überstehen. Das Kanna kickte, euphorisiert rannte ich zum Dancefloor, ich wollte, nein, ich musste jetzt tanzen, doch innerhalb von Sekunden kippte die Stimmung:
Ich drehte ab, suchte die nächste Sitz-Gelegenheit – ein etwa 4 Meter von mir entfernt stehender Sessel – zu dem ich es noch – dem Himmel sei Dank – rechtzeitig schaffte. Denn ich drohte das Bewusstsein zu verlieren, kalter Schweiß lief mir den Rücken runter, ich versank in meiner braunen, abgewetzten Rettungsinsel. Ich gab die Kontrolle ab. Ich werde mich jetzt gleich – inmitten all dieser makellosen, Selfie schießenden Schönheiten – voll kotzen und scheissen – schoss es mir durch den Kopf. Warum nahm ich das afrikanische Teufelskraut? Hier und jetzt?
Ich flehte meinen Körper, über den ich seit wenigen Minuten die Kontrolle abgegeben hatte, um Gnade. I know, I know – das Setting war nicht perfekt – doch bitte lass mir doch ein wenig Würde. Wir sind doch ein Team, oder? Ich kam wieder zu mir – erfreulicherweise – nicht wie befürchtet – inmitten von einem Pulk, entsetzt mit dem Finger auf mich zeigender Influencer – sondern immer noch auf meinem Sessel sitzend, zitternd, schweiß gebadet, beängstigt, aber froh offensichtlich das Schlimmste überstanden zu haben.
Nie wieder Kanna, so schwor ich mir, und verbrannte die Restbestände zu Hause. Die letzte Substanz, mit der ich experimentierte:
Phenibut, ein „Nahrungsergänzungsmittel“, welches in den 1960er Jahren in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt wurde. Es wurde unter anderem den russischen Astronauten bei ihrem Apollo-Sojus-Test mitgegeben, falls es zu Angstzuständen im All kommt. Ich, auf der Droge der russischen Astronauten, das fand ich ziemlich lässig, und nahm drei Gramm, des weißen, bitter schmeckenden Pulvers, genau 4 Stunden vor einem Dandy Diary DJ-Set, denn so lang braucht das Phenibut, laut Quellen, um seine Wirkung zu entfalten.
Eine Frage des Timings also. Phenibut setzt – wie auch Alkohol – bei den sogenannten GABA-Rezeptoren an. Es soll stark angstlösend wirkend, was ich defintiv bestätigen kann. Ich tanzte ausgelassen zu Rihanna’s “We found love Love in a hopeless Place”, machte meterhohe Luftsprünge, jauchzte vor Freude.
Doch alles mit Verstand und Vernunft – ohne Schlüssel verlieren oder peinliche Anmachen. Apropos Anmachen: Pick-Up-Artists, so las ich am nächsten Morgen, nutzen die russische Smart-Droge wohl, um mutig genug zu sein, um ihre Traumfrauen in freier Wildbahn anzusprechen.
Und – und das gehört auch zur Phenibut Wahrheit: Es kann äußererst schnell zur Abhängigkeit führen. Ein Cold Turkey in einer Berliner Entzugsklinik wegen russischer Astronauten-Droge stand nicht auf meiner To-Do-List, daher beendete ich das Experiment.
Ich erzählte meinem Vater am Telefon von meinen Selbstversuchen. „Kryptonit“ – fragte er entsetzt. Ich wiederholte: „Kratom, Papa, Kratom“ – nicht das Mineral aus dem DC-Universum, welches Superman gefährlich werden kann. Kratom ist eine Baumart aus Südostasien, deren Laubblätter für eine euphorische Wirkung sorgen.
Er war beruhigt. Und ich um ein paar Erfahrungen reicher.
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Von: David Kurt Karl Roth